Jetzt Online: Video-Beiträge von Prof. Mario Giampietro und Prof. Daniela Thrän zu Bioökonomie, Wachstum und Nachhaltigkeit

Zwei der spannendsten Beiträge in unserem Workshop “It’s the Bioeconomy, stupid! The future of growth and the promise of the bioeconomy”, der vom 07. und 08. Oktober 2020 stattfand, waren die von Mario Giampietro (Universitat Autònoma de Barcelona) sowie Daniela Thrän (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH-UFZ, 2012 bis 2019 Ratsmitglied des Bioökonomierats). Mehr zum Workshop (Programm und Präsentationen)

Die Videos von den Beiträgen sind aufrufbar über den Link in den jeweiligen Titel:


Mario Giampietro, ICREA Research Professor, Institute of Environmental Science and Technology (ICTA) at the Universitat Autònoma de Barcelona: “The policy legend of the circular bioeconomy: A biophysical view of the sustainability predicament”, Online Vorlesung, 7. Oktober 2020. Moderation: Anne Tittor


Daniela Thrän, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, 2012-2019 Ratsmitglied des Bioökonomierats: “Bioeconomy’s Contribution to Economic Growth”, Online Keynote, 8. Oktober 2020. Moderation: Dennis Eversberg.


Die Vortragenden vertraten gegensätzliche Positionen

Mario Giampietro äußerte sich skeptisch gegenüber der Idee einer Kreislaufwirtschaft als wesentliches Element einer nachhaltigen Bioökonomie. Aus bio-physischer Perspektive analysierte er die Einträge und Ausgänge in eine Bioökonomie, die als ein energie- und stoffverarbeitendes System eingebettet ist in natürliche Vorgänge. Eine vollständige Kreislaufwirtschaft ist nicht möglich: Auch eine Bioökonomie benötigt viel Energie (die heute im übrigen überwiegend aus fossilen Ressourcen gewonnen wird), es fallen immer Abfallprodukte an, die nicht wiederaufbereitet werden können und um die globale Wirtschaft mit Biomasse zu betreiben, reicht die vorhandene Landfläche der Erde bei weitem nicht aus. Konflikte um Land sind also vorprogrammiert und werden beispielsweise in Südamerika schon länger auch mit Gewalt ausgetragen. Sein Vortrag verdeutlichte einmal mehr, dass Technologie, auch Biotechnologie, Umweltprobleme nicht lösen kann, wenn nicht gleichzeitig Fragen der sozialen Ungerechtigkeit und ungleichen Verteilung von Macht gestellt werden.

Daniela Thrän hingegen vertrat eine vorsichtig optimistische Perspektive. In ihrem Beitrag umriss sie die bereits erzielten Errungenschaften (z.B. genome editing) und Potenziale bei der Produktivitätssteigerung (mehr Nahrung vom selben Land), die eine verbesserte Biotechnologie ermöglicht. Darüber hinaus betonte sie, dass in der deutschen Öffentlichkeit und der Debatte um Bioökonomie das Thema Nachhaltigkeit heute eine viel größere Rolle spiele als noch vor einigen Jahren. So würden beispielsweise die Auswirkungen einer stetig steigenden Produktion auch im Bioökonomierat kritisch diskutiert. Ihr Beitrag stimulierte eine Diskussion über den Nutzen von technologisch erzielten Effizienzgewinnen, wenn diese durch Rebound-Effekte immer wieder „aufgefressen“ würden und letztlich doch wieder zu einem höheren Rohstoff- und Energieverbrauch führten. Wie Daniela Thrän erklärte, wird die Problematik der Rebound-Effekte in der biotechnologisch ausgerichteten Forschung als größte noch zu lösende Frage betrachtet. Sie sei aber bisher noch nicht Teil konkreter politischer Maßnahmen gewesen. Auch weil viele politische Maßnahmen zur Bioökonomie kontrovers diskutiert werden, befürwortet die Helmholtz-Forscherin eine Begleitung und Aufarbeitung dieser Aushandlungsprozesse durch die sozialwissenschaftliche Forschung.

Interdisziplinärer Workshop „It’s the (bio)economy, stupid!“ 7./8. Oktober 2020

Foto: Jan-Peter Kasper

It’s the (bio)economy, stupid!
Die Zukunft des Wachstums und das Versprechen der Bioökonomie

Interdisziplinärer Workshop am 7./8.10.2020, Friedrich-Schiller-Universität Jena


Bericht
Programm
Präsentationen im Workshop

Videos

Mario Giampietro, ICREA Research Professor, Institute of Environmental Science and Technology (ICTA) at the Universitat Autònoma de Barcelona: “The policy legend of the circular bioeconomy: A biophysical view of the sustainability predicament”, Online Vorlesung, 7. Oktober 2020. Moderation: Anne Tittor


Daniela Thrän, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, 2012-2019 Ratsmitglied des Bioökonomierats: “Bioeconomy’s Contribution to Economic Growth”, Online Keynote, 8. Oktober 2020. Moderation: Dennis Eversberg.


Worum es ging:

Das vorherrschende Narrativ in den laufenden Debatten um die Bioökonomie zeichnet das Bild einer künftigen Wirtschaft, die auf Erneuerbaren Energien und biologischen Ressourcen basiert. Es verspricht modernen Gesellschaften ein “grünes” Wirtschaftswachstum, durch das es möglich werde, eine auf fossilen Rohstoffen und Energieträgern basierende Wirtschaft hinter sich zu lassen und so eine nachhaltige Zukunft aufzubauen.

Doch ist dieses Versprechen eines neuen, biobasierten Zyklus von Wachstum und Kapitalakkumulation erfüllbar? Können auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaften, die gleichzeitig auf bioökonomischen Stoffen und Ressourcen basieren, wirklich nachhaltig und global gerecht gestaltet werden? Ermöglicht die Bioökonomie eine Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie die Entkopplung von Ressourcendurchsatz und BIP? Oder würde die Transformation moderner Gesellschaften hin zu postfossilem, biobasiertem Wirtschaften die Überwindung des grenzenlosen Wachstums-Paradigmas voraussetzen?

Während fossil basierte Wirtschaften auf einem stetig wachsenden linearen Durchsatz und einer permanenten Ausweitung der Förderung fossiler Ressourcen aufgebaut sind, fußen biobasierte Wirtschaften auf Stoffen, deren Verfügbarkeit biophysikalischen Grenzen und zyklischen Regenrationsprozessen unterworfen ist und nicht beliebig erweitert und beschleunigt werden kann. Diese Dynamik der Ausweitung der benötigten Energie- und Gütermengen kann in einer auf erneuerbaren Ressourcen beruhenden Wirtschaft nicht ohne weiteres beibehalten werden. Allerdings sind als Folge jedes möglichen Bruchs mit der fossilen Logik des expansiven Abbaus natürlicher Ressourcen wirtschaftliche Krisen und neue Verteilungskonflikte zu erwarten. Andererseits könnte ein Umsteuern zu bio-basiertem Wirtschaften auch Ausgangspunkt für einen grundlegenderen Wandel moderner Gesellschaften sein: die gesellschaftliche Organisation von Lohn- und Care-Arbeit, Konsummuster oder auch die Vorstellungswelten der Menschen könnten neu verhandelt werden, oder zumindest könnte deutlich werden, dass ein Wandel in diesen Feldern nötig ist.

In ganz ähnlicher Weise verkünden politische Akteure und Strategien oftmals, dass die Bioökonomie weitreichende Veränderungen mit sich bringen wird: die Bioökonomiestrategie der EU sagt Europa „rasche, untereinander abgestimmte und nachhaltige Veränderungen seiner Lebensweise und seines Umgangs mit Ressourcen auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Wirtschaft“ voraus. Gleichzeitig scheinen die konkreten Handlungen von Schlüsselakteuren aus Politik, Wissenschaft und Industrie auf die Erwartung gestützt zu sein, dass die Bioökonomie es ihnen ermöglichen wird, mit dem business-as-usual fortzufahren und um eine Abwendung vom Wachstumsparadigma herumzukommen.  

Ziel unseres Workshops war es, die Beziehungen zwischen Bioökonomie und Wirtschaftswachstum aus einer multidisziplinären und globalen Perspektive zu diskutieren. Darüber hinaus wollten wir einen Austausch zwischen Debatten zu ökologischen und sozialen Folgen der Bioökonomie sowie den kritischen Debatten um nachhaltiges Wachstum, grünes Wachstum und Degrowth voranbringen.