Dennis Eversberg & Martin Fritz halten auf der Frühjahrstagung der DGS-Sektion „Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie“ den Vortrag „Bioökonomie als Schauplatz des sozial-ökologischen Transformationskonflikts in Deutschland“ | 31.3./1.4.2022


Abstract:

Ausgehend von der Notwendigkeit des Ausstiegs aus fossilen Ressourcen wird seit einigen Jahren wissenschaftlich und politisch über Konzepte einer post-fossilen Bioökonomie diskutiert. In Strategiepapieren und Projektplänen etwa für Pilotregionen werden der Substituierung fossiler durch nachwachsende, bio-basierte Stoffe eine Vielzahl von Vorteilen zugeschrieben. Versprochen wird ein nachhaltiges und gleichzeitig wachstumsstarkes Wirtschaften ohne Kohle, Erdöl und -gas und die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch technologische Innovationen. Das soziale Konfliktpotential, das eine solche Neuausrichtung des Wirtschaftens mit sich bringt, findet in diesen stark techno-ökonomisch dominierten Debatten kaum Beachtung. Der vorgeschlagene Beitrag adressiert die Bioökonomie daher als ein Teilfeld einer umfassenderen, gesamtgesellschaftlichen sozial-ökologischen Transformation, deren Richtung und Prinzipien derzeit sowohl Gegenstand politischer Auseinandersetzungen als auch eine Arena für Konflikte zwischen den Zukunftsvorstellungen und praktischen Orientierungen unterschiedlicher Bevölkerungsteile sind.

Auf der Basis aktueller repräsentativer Umfragedaten aus unserer Studie BioMentalitäten 2021 (n=4000) untersuchen wir Spannungsverhältnisse auf der Ebene von Einstellungen und Haltungen der Bevölkerung zu einer auf nachwachsenden Rohstoffen basierenden Wirtschaft und der damit verbundenen Vorstellungen von sozial-ökologischer Transformation. Im Unterschied zu bisherigen Bevölkerungsbefragungen zur Bioökonomie, die auf Fragen des Wissens über und der Akzeptanz  von Bioökonomie und spezifischen Technologien fokussieren, stehen hierbei aus relational-soziologischer Sicht die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen den Ebenen von Einstellungen, sozialstrukturellen Positionen und Praktiken im Vordergrund. Ausgehend von Bourdieus Konzeptionen von Habitus und Praxis begreifen wir die in der Befragung geäußerten Haltungen zum biobasierten Wirtschaften als Ausdruck tiefer liegender grundlegender Einstellungsmuster (Mentalitäten), die von sozialen Erfahrungen und sozioökonomischen Bedingungen geprägt sind und im alltäglichen Handeln sowie in Positionierungen zu unterschiedlichsten Einzelfragen zum Ausdruck kommen.

Neben spezifischen bioökonomierelevanten Fragen deckt unsere Befragung deshalb ein breiteres Spektrum sozial-ökologisch relevanter Fragen ab, z.B. nach den Grenzen des Wachstums, der Rolle von Technologie, Grundlogiken sozialer Beziehungen, Haltungen zu gesellschaftlicher Modernisierung oder Ungleichheit und verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit wie Klimapolitik und Naturschutz. Durch deren Einbezug lassen sich sozial-ökologische Mentalitäten identifizieren, deren Unterscheidung differenzierte Rekonstruktions- und Erklärungsmöglichkeiten für Nachhaltigkeits- und Transformationskonflikte bietet, die über sozioökonomische oder ideologische Engführungen hinausgehen.

Wir stellen erste Ergebnisse aus unserer Studie vor, diskutieren die mit Spannungsverhältnissen auf der Mentalitätsebene verbundenen sozialen Ungleichheiten (bspw. hinsichtlich Altersgruppen, Gender, Bildung, Beruf oder Einkommen) und systematisch differierenden Praxismuster (Lebensweisen) sowie die sich daraus abzeichnenden Konfliktlinien im Hinblick auf bioökonomische und andere Dimensionen von Transformation. Darüber hinaus geben wir einen ersten Einblick in die relationalen statistischen Analysen, mit welchen wir eine mehrdimensionale Landkarte des sozial-ökologischen Transformationskonflikts auf der Ebene von Mentalitäten und Lebensweisen in der deutschen Bevölkerung erarbeiten.

Frühjahrskongress