Jana Holz diskutierte das Papier „Suffizienz als ‚Strategie des Genug'“ beim Sachverständigen Rat für Umweltfragen

Im Namen der Forschungsgruppe brachte Jana Holz (M.A.) auf Grundlage des neuesten Forschungsberichts „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation drei Kommentare in die Diskussion ein, die das Papier „Suffizienz als ‚Strategie des Genug'“ an konkreten Stellen ergänzen und auf Forschungsbedarfe hinweisen.


  1. In Bezug auf These 11: Der Verweis auf kulturellen Wandel bzw. Wertewandel als Basis und Folge von Suffizienz ist wichtig und richtig. Wir möchten diesen erweitern um die Perspektive, dass der Durchsetzung von Suffizienz eigentlich fast immer auch handfeste Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen entgegen stehen, die ihre Freiheiten, ihr Privateigentum und ihre Privilegien gefährdet sehen. Unsere Forschung zeigt, dass diese Gruppen diese Freiheiten und Privilegien verteidigen und nicht bereit sind, im Sinne von Suffizienz auf ihre Gewohnheiten und eigenen Vorteile zu verzichten. Um hier ein paar Beispiele zu nennen: Mit Freiheiten meinen wir z. B.: reisen zu können wohin und wie lange man will und mit dem präferierten Verkehrsmittel der Wahl; oder ins eigene Auto steigen zu können, wann immer man mag und dieses möglichst nah und ohne Gebühren parken zu können. Privateigentum wie das Eigenheim oder angelegte Vermögen, aber auch das Recht auf die Wahl der eigenen Heizungsanlage in diesem Eigenheim werden vehement verteidigt. Privilegien wie Erbschaften oder Steuervorteile werden als Selbstverständlichkeiten angesehen und eine mögliche Einschränkung dieser Selbstverständlichkeiten im Sinne des öffentlichen Interesses wird abgelehnt. Mit diesen Interessengegensätzen und den dazu gehörigen Konflikten muss man im Zuge einer Suffizienzpolitik bewusst umgehen und politische Maßnahmen und Kommunikationsstrategien auch dementsprechend ausgestalten.

  2. Umgekehrt möchten wir bezüglich der These 5 konkretisieren, dass der im Papier geforderte strukturelle Wandel sich auf eine Stärkung von klima- und sozial gerechten öffentlichen und allgemein zugänglichen Infrastrukturen fokussieren sollteDies wird beispielweise im aktuellen Bericht des Austrian Panel on Climate Change und auch in unserem oben erwähnten Forschungsbericht ebenfalls dargelegt. Der Ausbau und die Stärkung der Daseinsvorsorge in Bereichen wie Mobilität, Gesundheitswesen, Bildung oder Freizeit wiederum liegen auch im Interesse von großen Teilen der Bevölkerung; besonders jenen, die im Alltag stark auf die Nutzung solcher Strukturen angewiesen (z.B. des ÖPNV) oder durch ihre Arbeit damit verbunden sind (z.B. durch Arbeit in Pflege, Medizin oder Bildungswesen). Dieser Fokus würde auch damit einhergehen, Finanzen, Strukturen und Erfahrungen vom privaten Bereichen hin zum öffentlichen Bereich zu verschieben, was sozial benachteiligten Teilen der Bevölkerung entgegenkommen kann und soziale Unterschiede, die auf Besitz und Privilegien aufbauen, entgegenwirken würde. 

  3. Zum Schluss möchten wir uns noch mal auf die Daten unseres neusten Forschungsberichts zum sozial-ökologischen Klassenkonflikt beziehen, denn dieser ergänzt die Thesen des Papiers wirklich gut. Er zeigt, dass Anknüpfungspunkte für Suffizienz auch jenseits offensichtlich ökosozial eingestellter Bevölkerungsteile zu finden sind, zum Beispiel in Form öko-konservativer Mentalitäten und solcher aus dem Bereich eher transformationsskeptischer Mentalitäten. Um es etwas überspitzt auszudrücken: Auch jenseits der typischen öko-sozial aktiven Bildungsbürgerin, die mit dem Lastenrad durch die Großstadt fährt, finden sich Unterstützungspotenziale für Politiken, die mit Reduktion oder einem guten und ressourcenleichten Leben einhergehen: Etwa in Teilen der ländlichen Bevölkerung, die mit der Natur verbunden sind und diese schützen wollen, also in Teilen von öko-konservativen Mentalitäten, oder unter sozial benachteiligteren Bevölkerungsgruppen, wo Suffizienz zwar oftmals nicht so heißt, aber als eine alltägliche, in langer Erfahrung mit begrenzten Möglichkeiten zur Selbstverständlichkeit gewordene Gewohnheit des Mit-Wenig-Auskommens durchaus verbreitet ist. 

Um diese Potentiale zu nutzen – und diese Bevölkerungsteile nicht von Anfang an zu verschrecken – sowie um Konflikte um die gesellschaftliche Durchsetzung von Suffizienz besser zu verstehen, ist daher unserer Ansicht nach eine Analyse des Zusammenspiels von sozialen Positionen mit Mentalitäts- und Interessenunterschieden in z. B. verschiedenen Regionen oder Branchen geboten. Indem somit die unterschiedlichen Erfahrungen und Möglichkeiten verschiedener Teile der Bevölkerung differenziert (und nicht nur als Gesamtheit) betrachtet werden, könnten wir noch besser verstehen, wie sozial-ökologische Transformationsprozesse und Suffizienzpolitiken im Konkreten aussehen und ausgestaltet sein können – und auch welche Konflikte uns auf dem Weg begegnen könnten. 

Der Versuch, Suffizienz in Politik und Öffentlichkeit in Zukunft eine größere Bedeutung zu verschaffen, scheint angesichts von den der Moderne inhärenten kapitalistischen Steigerungszwängen und individualistischen Freiheitsansprüchen eine Mammutaufgabe. Doch eine, die angegangen werden muss und der Bericht des SRU stellt dafür einen weiteren wichtigen Schritt dar. 

Weitere Informationen zur Veranstaltung vom 29.04.2024 und dem Sachverständigenrat für Umweltfragen hier.

Zum Diskussionspapier „Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion