Unterwegs: Lilian Pungas und Jana Holz in der Feldforschung

Unsere beiden Mitarbeiterinnen und angehenden Doktorandinnen waren in den Sommerwochen 2020 jeweils für ihre zweite Feldforschung in Finnland und Estland unterwegs.


Feldaufenthalt und Interviews in Äänekoski, Mittelfinnland

Für ihr Dissertationsprojekt ist Jana Holz im Spätsommer 2020 erneut nach Finnland gereist. Für zwei Wochen war sie in Äänekoski, einer Industriestadt in Mittelfinnland, unweit der Universitätsstadt Jyväskylä. Für das „flumen“-Projekt untersucht sie Innovationen und Veränderungen in der finnischen Forstwirtschaft, die mit der Bioökonomie verbunden sind, sowie deren sozialstrukturelle Bedeutung für sozial-ökologische Transformationsprozesse. Während dieser Forschungsreise kontzentrierte sich Jana Holz auf die Stadt Äänekoski und die dort ansässige Bioprodukte-Fabrik der finnischen Firma Metsä Group. Die Anlage ist die modernste und effizienteste Zellstofffabrik der Nordhalbkugel und stellt seit der Ankündigung des geplanten Investmentprojektes 2015 einen Meilenstein in der Geschichte der finnischen Forstwirtschaft dar. Neben Zellstoff werden auch andere Bioprodukte wie Kiefernöl, Terpentin und Bioeinergieprodukte produziert. Angegliedert an die Fabrik entsteht ein System aus innovativen, kleineren Anlagen, die verschiedene Biotechnologien um den Zellstoff herum erforschen und ausprobieren. Lokal bringen die zunehmenden Entwicklungen in der bio-basierten Holzwirtschaft in und um Äänekoski vor allem Investitionen in die Infrastruktur, eine prosperierende Wirtschaft auch außerhalb des Metsä-Firmengeländes und Zuversicht für die Zukunft mit sich – allerdings auch einen steigenden Druck auf die regionalen Waldbestände, Gefahren für deren Biodiversität sowie ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch die Zulieferung zur Fabrik. Ein zweischneidiges Schwert, das es wert ist, soziologisch, mit Blick auf die verschiedenen sozialen Gruppen in der Stadt untersucht zu werden.  

In den zwei Wochen in Äänekoski konnte Jana Holz mit zahlreichen lokalen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Anwohner*innen sprechen. Ziel des Aufenthalts war es, eine genauere Idee davon zu bekommen, wie die lokale Bioökonomisierung, Modernisierung und Intensivierung der Forstwirtschaft die sozial-ökologischen Beziehungen und Strukturen sowie diverse Nutzungspraktiken und Verständnisse von Natur und Wald verändern.


Feldforschung in Narva und Sillamäe, Ostestland

Unsere Mitarbeiterin Lilian Pungas war im August in Ostestland und hat dort zahlreiche Interviews in und um Narva und Sillamäe durchgeführt. Ihre Schwerpunkte waren neben der dortigen Subsistenzlandwirtschaftpraxis dieses mal auch 

  • die Corona Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung
  • Gender-Aspekte
  • Mensch-Natur-Verhältnisse
  • der lokale Ölschiefersektor und 
  • die jetzigen „Just-Transition“-Aushandlungsprozesse

Lilian Pungas untersucht die Subsistenzlandwirtschaft der überwiegend russischen Bewohner*innen Narvas in ihren Datschen, weil diese in den 90er Jahren, nach Zusammenbruch der Sowjetunion, besonders unter den Folgen der Transformation zu leiden hatten. Hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit führten zu Existenzängsten, welchen die Bewohner*innen mit dem Anbau eigener Lebensmittel begegneten. In Bezug auf Mentalitäten findet sich unter der untersuchten Gruppe eine hohe Skepsis gegenüber neoliberalen Wachstumsimperativen. Als Gärtner*innen praktizieren die Bewohner*innen von Narva und Sillamäe bereits einen Aspekt der Bioökonomie.


Neuer Beitrag von Martin Fritz

Im Juli veröffentlichte das Forschungsjournal für Soziale Bewegungen einen Artikel von Martin Fritz und Katharina Bohnenberger unter dem Titel „Sozialpolitik for Future. Wie nachhaltige Sozialpolitik Klimagerechtigkeit schafft“.

Der Link zur Veröffentlichung findet sich hier: https://www.degruyter.com/view/journals/fjsb/33/1/article-p269.xml
(Hinweis: Bei Zugangsproblemen stellen wir interessierten LeserInnen gern ein pdf zur persönlichen Nutzung zur Verfügung)

Zusammenfassung

Klimagerechtigkeit heißt, den Umgang mit den Ursachen, Folgen und Kosten des menschengemachten Klimawandels zu regeln, ohne dabei bestimmte soziale Gruppen zu benachteiligen. Dazu gibt es Vorstellungen von einer gerechten Verteilung und Prinzipien für das richtige Handeln. Aber wie lässt sich Klimagerechtigkeit mit konkreten politischen Maßnahmen erreichen? In diesem Beitrag argumentieren wir, dass eine nachhaltige Sozialpolitik, in der soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammengebracht werden, die dazu nötigen vielfältigen sozialökologischen Maßnahmen und Instrumente zur Verfügung stellt. Wir zeichnen zunächst kurz die Entstehung der Klimagerechtigkeitsbewegung im Kontext der globalen Umweltpolitik nach und diskutieren die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Konzept der nachhaltigen Sozialpolitik. Anschließend unterbreiten wir Vorschläge, wie z. B. durch die Einführung einer sozialökologischen Steuerreform, von Klimasozialversicherungen und anderen Instrumenten nachhaltige Sozialpolitik in der Praxis gestaltet werden kann.

Interdisziplinärer Workshop „It’s the (bio)economy, stupid!“ 7./8. Oktober 2020

Foto: Jan-Peter Kasper

It’s the (bio)economy, stupid!
Die Zukunft des Wachstums und das Versprechen der Bioökonomie

Interdisziplinärer Workshop am 7./8.10.2020, Friedrich-Schiller-Universität Jena


Bericht
Programm
Präsentationen im Workshop

Videos

Mario Giampietro, ICREA Research Professor, Institute of Environmental Science and Technology (ICTA) at the Universitat Autònoma de Barcelona: “The policy legend of the circular bioeconomy: A biophysical view of the sustainability predicament”, Online Vorlesung, 7. Oktober 2020. Moderation: Anne Tittor


Daniela Thrän, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, 2012-2019 Ratsmitglied des Bioökonomierats: “Bioeconomy’s Contribution to Economic Growth”, Online Keynote, 8. Oktober 2020. Moderation: Dennis Eversberg.


Worum es ging:

Das vorherrschende Narrativ in den laufenden Debatten um die Bioökonomie zeichnet das Bild einer künftigen Wirtschaft, die auf Erneuerbaren Energien und biologischen Ressourcen basiert. Es verspricht modernen Gesellschaften ein “grünes” Wirtschaftswachstum, durch das es möglich werde, eine auf fossilen Rohstoffen und Energieträgern basierende Wirtschaft hinter sich zu lassen und so eine nachhaltige Zukunft aufzubauen.

Doch ist dieses Versprechen eines neuen, biobasierten Zyklus von Wachstum und Kapitalakkumulation erfüllbar? Können auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaften, die gleichzeitig auf bioökonomischen Stoffen und Ressourcen basieren, wirklich nachhaltig und global gerecht gestaltet werden? Ermöglicht die Bioökonomie eine Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie die Entkopplung von Ressourcendurchsatz und BIP? Oder würde die Transformation moderner Gesellschaften hin zu postfossilem, biobasiertem Wirtschaften die Überwindung des grenzenlosen Wachstums-Paradigmas voraussetzen?

Während fossil basierte Wirtschaften auf einem stetig wachsenden linearen Durchsatz und einer permanenten Ausweitung der Förderung fossiler Ressourcen aufgebaut sind, fußen biobasierte Wirtschaften auf Stoffen, deren Verfügbarkeit biophysikalischen Grenzen und zyklischen Regenrationsprozessen unterworfen ist und nicht beliebig erweitert und beschleunigt werden kann. Diese Dynamik der Ausweitung der benötigten Energie- und Gütermengen kann in einer auf erneuerbaren Ressourcen beruhenden Wirtschaft nicht ohne weiteres beibehalten werden. Allerdings sind als Folge jedes möglichen Bruchs mit der fossilen Logik des expansiven Abbaus natürlicher Ressourcen wirtschaftliche Krisen und neue Verteilungskonflikte zu erwarten. Andererseits könnte ein Umsteuern zu bio-basiertem Wirtschaften auch Ausgangspunkt für einen grundlegenderen Wandel moderner Gesellschaften sein: die gesellschaftliche Organisation von Lohn- und Care-Arbeit, Konsummuster oder auch die Vorstellungswelten der Menschen könnten neu verhandelt werden, oder zumindest könnte deutlich werden, dass ein Wandel in diesen Feldern nötig ist.

In ganz ähnlicher Weise verkünden politische Akteure und Strategien oftmals, dass die Bioökonomie weitreichende Veränderungen mit sich bringen wird: die Bioökonomiestrategie der EU sagt Europa „rasche, untereinander abgestimmte und nachhaltige Veränderungen seiner Lebensweise und seines Umgangs mit Ressourcen auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Wirtschaft“ voraus. Gleichzeitig scheinen die konkreten Handlungen von Schlüsselakteuren aus Politik, Wissenschaft und Industrie auf die Erwartung gestützt zu sein, dass die Bioökonomie es ihnen ermöglichen wird, mit dem business-as-usual fortzufahren und um eine Abwendung vom Wachstumsparadigma herumzukommen.  

Ziel unseres Workshops war es, die Beziehungen zwischen Bioökonomie und Wirtschaftswachstum aus einer multidisziplinären und globalen Perspektive zu diskutieren. Darüber hinaus wollten wir einen Austausch zwischen Debatten zu ökologischen und sozialen Folgen der Bioökonomie sowie den kritischen Debatten um nachhaltiges Wachstum, grünes Wachstum und Degrowth voranbringen.

Neuer Artikel von Lilian Pungas

Zusammenfassung

The doughnut model provides a base for guiding strategies for urgent and radical socio-metabolic transformation that human communities must put into practice to achieve global just sustainability. It visually quantifies existing social reproduction deviations in the chosen units (nations, regions) from the abstract safe and just operating space. This space is defined by boundaries and thresholds of biophysical, socioeconomic, and cultural downscaled and normalized indicator values; based on a principle-theory paradigm of realistically sustainable flourishing of people and planet.

Zum Artikel https://doi.org/10.1016/B978-0-12-409548-9.12143-8

Dennis Eversberg bei der Summer School POLITICS, ONTOLOGIES, ECOLOGIES


Bei der diesjährigen „Summer School – Politics, Ontologies, Ecologies“ vom 29. Juni bis 3. Juli 2020 hielt Dennis Eversberg einen Vortrag zu Degrowth Mentalities, Degrowth Ontologies. Die „Summer School“ ist ein internationales Podium. Sieben Wissenschaftler*innen präsentierten Themen aus der politischen Ökologie und konfligierenden Ontologien in Bezug auf die ökologische Krise. Die Website der „Summer School“ findet sich hier: http://www.poeweb.eu/summer-school/

Die englischsprachige Präsentation zum Vortrag kann hier heruntergeladen werden:

Flumen Beiträge auf der Degrowth Konferenz 2020

Die Wiener Degrowth Konferenz findet dieses Jahr aufgrund der Coronabeschränkungen digital statt. Vom 29. Mai bis zum 1. Juni 2020 wird es Workshops und Vorträge zu aktuellen Debattenbeiträgen rund um Degrowth-Themen geben. Die Nachwuchsgruppe flumen wird sich an der Konferenz mit 5 Beiträgen einbringen:

  • Matthias Schmelzer stellt zusammen mit Nina Treu, Tadzio Müller, Julianna Fehlinger und Brototi Roy am Freitag, dem 29. Mai um 11 Uhr 45 das neu erschienene Buch „Degrowth in Movement(s)“ vor. Die Buchvorstellung findet auf English mit deutscher Übersetzung statt.
  • Dennis Eversberg und Melissa Büttner geben ebenfalls am Freitag, um 18 Uhr den Workshop „Sozial-ökologische Transformation: Mit wem – und gegen wen?“. Der Workshop findet auf Deutsch statt.
  • Anschließend wird Dennis Eversberg um 18 Uhr 45 an der Podiumsdiskussion zu „Understanding transformations and the role of strategy“ teilnehmen. Die Diskussion findet auf Englisch mit deutscher Übersetzung statt.
  • Am Samstag, den 30. Mai nimmt Matthias Schmelzer um 10 Uhr an der Podiumsdiskussion zum Thema „Advancing a Degrowth Agenda in the Corona Crisis“ teil. Die Diskussion findet auf Englisch mit deutscher Übersetzung statt.
  • Am Sonntag, den 31. Mai um 17 Uhr gibt Lilian Pungas zusammen mit Susan Andreatta, Christina Plank, Robert Hafner, Mladen Domazet und Branko Ancic den Workshop: „Restructuring the Third/Corporate Food Regime: How Farmers and the Public are Transforming Food and Agriculture for the Future – Post-Covid-19“ . Der Workshop findet auf Englisch statt.

Weitere Infos zur Konferenz sowie ein ausführliches Programm finden sich hier: https://www.degrowthvienna2020.org/en/program/.

Building Back Better

Die Flumen-Mitarbeiter*innen Martin Fritz und Lilian Pungas haben an einem briefing paper mitgewirkt, welches von der Wellbeing Economy Alliance (WEAll) veröffentlicht worden ist.

Die COVID-19 Pandemie hat verheerenden Einfluss auf die Vulnerabilität von Gesellschaften auf der ganzen Welt. Es gibt aber kleine Hoffnungsschimmer, in denen Gesellschaften darauf hinarbeiten, es „bei der Überwindung der Krise besser zu machen“ („build back better“) indem die Erfüllung der Grundbedürfnisse gewährleistet und die natürliche Umwelt geschützt wird.

Der Zusammenschluss von WEAll stellt Zehn Prinzipien für das „building back better“ während der Krisenüberwindung vor, um „Wellbeing economies“ zu schaffen. Der englischsprachige Artikel findet sich hier: https://wellbeingeconomy.org/ten-principles-for-building-back-better-to-create-wellbeing-economies-post-covid.

Der komplette Artikel kann hier eingesehen werden. 

Call for Participation

Contested Society-Nature-Relations – Forest related Emotions, Practices and Conflicts in Times of Societal Change

New Deadline for Cfp: 15.06.2020

International Multidisciplinary Workshop 
24th – 25th November 2020
Friedrich-Schiller-University Jena, Germany

The aim of our workshop is to discuss the changing and contested relationships between individuals, society as a whole, and nature – especially forests – from a multidisciplinary perspective. The varying types of human-forest relationships indicate what forests mean to humans, and they can provide insight into broader underlying ideas and practices of how individuals, communities, and societies relate to nature. Different relationships with the forest (i.e. values, perceptions, decisions, and actions relating to it) are an expression of these society-nature-relations, and in turn, have a formative impact on humans themselves and onto their environment. In this workshop, we want to foster exchange and debates between Finnish and German-speaking researchers working on the cultural and social implications of different types of human-forest relationships. Our perspective focuses on human-forest relations at both, the individual and the societal level, and we are interested in past and present developments as well as possible futures.

We welcome contributions from different academic fields of social sciences and humanities, including (but not limited to) Sociology, Political Science, Human and Critical Geography, Social and Political Ecology, History, Political Economy, Philosophy and Cultural Studies. Contributions may be based on theoretical analyses, case studies, empirical investigations, and comparative or in-depth studies.

The workshop will be held in English in Jena (Germany), hopefully with participants being present. We will enable online participation if necessary. In the meantime, the coordination team continues to closely follow the development of the situation and will make further decisions accordingly as needed.

If you are interested in contributing to the workshop, we invite you to submit an abstract of max. 500 words to jana.holz@uni-jena.de until June 15st, 2020. Draft papers or presentations will be due until November 1st, 2020. Workshop discussions will be based on these draft papers or presentations, aiming to refine them for possible publication.

You will find more Information on the ‚Call for Participation‘  here

Call for Abstract: It’s the (bio)economy, stupid! The future of growth and the promise of the bioeconomy

Extended Deadline until 30th April!

Workshop from 7th – 8th October 2020, Friedrich-Schiller-University Jena, Germany.

The aim of our workshop is to discuss the relationships between the bioeconomy and economic growth from a multidisciplinary and global perspective. We want to foster an exchange between debates on the ecological and social implications of the bioeconomy and critical debates on sustainable growth, green growth and degrowth.

We welcome contributions from different academic fields such as sociology, political ecology and economy, human and critical geography, social ecology, history, philosophy, economics etc. Contributions may be based on theoretical analyses, case studies, empirical investigations, comparative or in-depth studies.

If you are interested in contributing to the workshop we invite you to submit an abstract of max. 500 words to flumen@uni-jena.de until April 30th, 2020. Draft papers will be due until September 18, 2020. Workshop discussions will be based on the draft papers, aiming to develop them further for a possible publication.

You will find more Information here.